Work-Life-Balance: Warum gesunde Führung mehr ist als Zeitmanagement

Work-Life-Balance ist in vielen Unternehmenswerten zu finden, doch im Führungsalltag oft weit entfernt von gelebter Realität. Die meisten Führungskräfte bewegen sich in einem Spannungsfeld aus permanentem Entscheidungsdruck, Verantwortung für Teams und Ergebnisse sowie ständiger Erreichbarkeit.

Innere Stabilität ist eine Führungsressource, die nicht nur der eigenen Gesundheit dient, sondern entscheidend für die Qualität der Führung ist. Work-Life-Balance bedeutet nicht, möglichst früh den Laptop zuzuklappen, sondern eine innere Haltung zu entwickeln, die Stabilität, Gelassenheit und Präsenz ermöglicht.

Drei unterschätzte Elemente sind dafür zentral:
Nichtstun. Bewegung. Neugierde.

1. Nichtstun – der unterschätzte Führungsraum

In einer Kultur ständiger Verfügbarkeit wirkt Nichtstun wie ein Fremdkörper. Doch gerade als Führungskraft brauchen Sie bewusste Unterbrechungen. Also Zeiten, in denen Sie nicht reagieren, nicht entscheiden, sondern einfach nur sein können.

Man kann es sich wie einen Muskel vorstellen: Dauerhafte Anspannung führt zu Verhärtung, dauerhafte Entspannung zu Kraftverlust. Übertragen auf Ihren Führungsalltag bedeutet das: Wer nur im „Hustle-Modus“ agiert, riskiert Erschöpfung. Wer ausschließlich entspannt, verliert an Wirkungskraft. Entscheidend ist der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung.

Nichtstun schafft Raum für neue Perspektiven, senkt den inneren Druck und ist somit eine der effektivsten Investitionen in langfristige Leistungsfähigkeit.

Praktische Impulse:

Kalenderarchitektur ändern
Tragen Sie Pausen genauso verbindlich ein wie Meetings. Sobald sie im Kalender stehen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie diese Zeit „opfern“. Eine feste Struktur signalisiert auch dem Team: Erholung ist Teil der Arbeit, nicht deren Unterbrechung.

Mikroauszeiten zwischen Terminen
Selbst drei Minuten Stille zwischen Meetings reduzieren den Stresspegel spürbar. Während dieser Zeit: Augen schließen, tief durchatmen, bewusst die Muskulatur lockern. So verhindern Sie, dass sich Anspannung über den Tag aufbaut.

Visuelle Anker
Ein Gegenstand auf dem Schreibtisch, z. B. ein kleiner Stein oder eine Pflanze. Dieser erinnert Sie daran, kurz innezuhalten. Diese haptische oder visuelle Erinnerung ist besonders hilfreich in Phasen hoher Arbeitsdichte.

Reizreduktion
Mindestens einmal täglich 15 Minuten ohne digitale Benachrichtigungen verbringen. Ohne permanente Reizflut kann das Gehirn Informationen verarbeiten und emotionale Balance wiederherstellen.

Gedankenparkplatz
Alles, was im Kopf kreist, aber gerade nicht bearbeitet werden kann, schriftlich festhalten. Diese Technik entlastet das Arbeitsgedächtnis und schafft Raum für Klarheit.

2. In Bewegung kommen – körperlich statt nur gedanklich

Viele Führungskräfte arbeiten fast ausschließlich im kognitiven Modus. Das Problem: Der Körper reagiert auf geistige Anstrengung ähnlich wie auf Stress. Die Muskeln verspannen sich, die Atmung wird flacher, und der Energiepegel sinkt. Körperliche Bewegung wirkt unmittelbar regulierend.
Sie löst Anspannung, stärkt die Präsenz und bringt uns in Kontakt mit uns selbst, besonders in fordernden Phasen.

Auch Studien bestätigen das:
Laut einer Übersichtsarbeit der BAuA (2016) beugen aktive Pausen körperlichen und psychosomatischen Beschwerden vor und fördern Wohlbefinden sowie Leistungsfähigkeit. Gerade in verantwortungsvollen Rollen kann Bewegung so zum Schutzfaktor werden.

Praktische Impulse:

Geh-Meetings
Gespräche beim Gehen verlagern den Fokus, regen die Durchblutung an und fördern kreatives Denken. Besonders für Mitarbeitergespräche oder Brainstormings geeignet, da die Bewegung oft zu offeneren, lösungsorientierteren Dialogen führt.

Büro-Mobilität fördern
Platzieren Sie Drucker, Kaffeemaschine oder Wasserstation bewusst so, dass Bewegung erforderlich ist. Diese kleinen Wege summieren sich über den Tag und unterbrechen lange Sitzphasen.

Dynamisches Arbeiten
Nutzen Sie einen höhenverstellbaren Schreibtisch, um zwischen Sitzen, Stehen und Gehen zu wechseln. Diese Variabilität reduziert Belastungsschmerzen und hält den Kreislauf aktiv.

Aktive Pausen mit dem Team
Starten Sie längere Meetings mit zwei bis drei Minuten leichter Dehnübungen. Neben der physischen Wirkung signalisiert es, dass Bewegung zur Unternehmenskultur gehört.

Bewegung zur Emotionsregulation
Vor schwierigen Gesprächen bewusst eine kurze Runde gehen. Die körperliche Aktivität hilft, emotionale Anspannung abzubauen und eine ruhigere Gesprächshaltung einzunehmen.

3. Neugierde – innere Beweglichkeit in komplexen Zeiten

Neugierde ist nicht nur ein persönliches Interesse, sondern eine Führungsqualität. In dynamischen Märkten ist die Fähigkeit, Fragen zu stellen und offen zu bleiben, ein klarer Wettbewerbsvorteil. Neugierde reduziert die Gefahr, in gewohnten Mustern zu verharren, und erhöht die Bereitschaft, neue Lösungen zu testen. Sie unterstützt den Umgang mit Unsicherheit, weil sie den Blick von der Angst vor Fehlern auf die Chancen des Lernens lenkt.

Praktische Impulse:

Frage-First-Ansatz
Stellen Sie zu Beginn von Meetings gezielt offene Fragen, bevor Sie Ihre eigene Meinung äußern. So schaffen Sie Raum für unterschiedliche Perspektiven und fördern eigenständiges Denken im Team.

Fremde Perspektiven einholen
Suchen Sie regelmäßig den Austausch mit Menschen außerhalb Ihrer Branche. Dieser Perspektivwechsel verhindert Betriebsblindheit und kann inspirierende Ansätze hervorbringen.

Lernzeit fest verankern
Blockieren Sie jede Woche 30–60 Minuten für bewusstes Lernen. ohne direkten Bezug zu aktuellen Projekten. Das erweitert Ihr Handlungsrepertoire für künftige Herausforderungen.

Experimentierfenster im Team
Reservieren Sie 10 Prozent der Arbeitszeit für Experimente ohne Ergebnisdruck. Hier entstehen oft die innovativsten Ideen, weil der Fokus auf dem Erforschen statt auf dem Perfektionieren liegt.

Ideenpinnwand nutzen
Halten Sie ungewöhnliche Ansätze, Gedanken oder Fragen schriftlich fest, auch wenn diese noch nicht umsetzbar sind. Diese Sammlung wird langfristig zu einem wertvollen Ideenpool.

Work-Life-Balance neu denken – als Haltung, nicht als Maßnahme

Work-Life-Balance entsteht nicht durch Wellness-Tage oder flexible Arbeitszeiten allein. Sie ist das Ergebnis einer bewussten inneren Haltung und konsequenter Selbstführung. Unternehmen, die dies verstehen, schaffen Rahmenbedingungen, in denen Führungskräfte:

  • Pausen ohne Rechtfertigung nehmen können,

  • Bewegung als feste Ressource im Alltag nutzen,

  • neugierig bleiben, statt vorschnell zu handeln.

Gesunde Führung bedeutet, bei sich zu bleiben, um andere klar, stabil und zukunftsfähig begleiten zu können.

Nichtstun. Bewegung. Neugierde.
Drei einfache Worte und doch der Schlüssel für Führung, die nicht erschöpft, sondern trägt.

Ihr René Hanna